Die Seuche als Attribut der Gesellschaft
„Die künstlichen Seuchen sind vielmehr Attribute der Gesellschaft, Produkte der falschen oder nicht auf alle Klassen verbreiteten Cultur; sie deuten auf Mängel, welche durch die staatliche und gesellschaftliche Gestaltung erzeugt werden.“ Professor Dr. med. Rudolf Virchow, Die Seuche, 1849
Eine Krankheit breitet sich niemals einfach so in eine auch nur halbwegs gesunde Umgebung aus. Ein Virus schon gar nicht, weil es – nach wissenschaftlicher Definition – kein Lebewesen ist, sich daher nicht bewegen kann, sich nicht von selbst vermehren kann, also rein passiv existiert.
In unseren Breiten gibt es schon sehr lange keine Seuchen mehr. Seuchen und die mit ihnen vermehrt auftretenden Keime haben ihre Keim- und Nährböden in Kriegsgebieten, Elendsvierteln und von Naturkatastrophen betroffenen Regionen – und ausschließlich dort.
Am eindrucksvollsten ist das am Beispiel des Zaire-Ebola-Virus zu beobachten. Die damit einhergehenden Erkrankungen haben eine fast 90prozentige Mortalität, bleiben aber im wesentlichen auf die Gebiete um den kongolesischen Fluss Ebola begrenzt.
Würden sich Seuchen, zumal so schwere wie die Ebola-Krankheit, einfach durch Infektionsdruck, Keimwanderung etc. über ihre angestammten, von übelsten sozialen und hygienischen Bedingungen gekennzeichneten Gebiete hinaus verbreiten können, wäre die Menschheit schon längst ausgerottet.
Doch das ist nicht so. Die Gesamtsterblichkeit in Europa liegt nach offiziellen Statistiken in diesem Jahr sogar leicht unter den Zahlen vergangener Jahre. Es gibt die in fast allen Medien behauptete Übersterblichkeit – also eine statistisch nachweisbare höhere Mortalität – wegen des aktuellen Corona-Virus jedenfalls bisher nicht. Weder bezogen auf die europäische Gesamtbevölkerung, noch auf die besonders im Fokus stehenden Menschen ab Lebensalter 65. Und auch die Altersstruktur der Gestorbenen mit positivem SARS-CoV-2-Testergebnis ist nicht anders als in den gleichen Erkältungs-/Grippe-Perioden der Vorjahre.
Aber was ist mit Italien?
Auch dort lag nach amtlichen Zahlen die Gesamtsterblichkeit der Altersgruppe 65+ bis 7. März, also mitten in der ausgerufenen Corona-Krise, in 19 Städten des ganzen Landes ebenfalls niedriger als in den Vorjahren; insbesondere wegen des milden Winters, wird gemutmaßt.
Hingegen sind vor allem dicht besiedelte Gegenden im Norden Italiens bekannt für ihre besonders schlechte Luftqualität, was die auffallend große Anfälligkeit für Atemwegs- und Lungenerkrankungen dort erklären dürfte.
Der Arzt und frühere Leiter des israelischen Gesundheitsministeriums Professor Yoram Lass zum Beispiel verweist darauf, dass Italien von vornherein „eine enorme Morbidität durch Atemwegserkrankungen“ habe, die „mehr als drei Mal so hoch“ sei wie im restlichen Europa. Also keineswegs erst heuer durch das Corona-Virus SARS-CoV-2.
Und: 99,2 Prozent der bis 17. März in Italien mit positivem Testergebnis Gestorbenen hatten mindestens eine erhebliche Vorerkrankung, die Hälfte von ihnen sogar drei oder mehr länger bestehende Erkrankungen. In Deutschland sieht es nicht grundsätzlich anders aus.
Doch wie kommt es dann zu den überall veröffentlichten, scheinbar enormen (Zuwachs-)Zahlen? Das hat der Präsident des Robert-Koch-Instituts Dr. Lothar H. Wieler dieser Tage erläutert: Alle (auch post mortem) positiv getesteten Todesfälle werden unabhängig von der tatsächlichen Todesursache als Corona-Todesfälle erfasst.
Heißt: Ein alter Mensch (das Durchschnittsalter der erfassten Todesfälle liegt bei 82 Jahren) stirbt zum Beispiel an Herzversagen oder ein jüngerer bei einem Verkehrsunfall, war zuvor oder wird danach positiv auf SARS-CoV-2 getestet – und schon gibt es einen Corona-Toten mehr.
Je mehr Tests man macht (an Gesunden oder irgendwie Kranken oder Gestorbenen), desto mehr Infizierte findet man, auch wenn der Betreffende gar nicht krank ist beziehungsweise das Virus mit der Erkrankung oder dem Tod des Patienten ursächlich gar nichts zu tun hatte.
Was es allerdings weltweit gibt, sind lokal begrenzte Risikogebiete für seuchenartige Krankheitsentwicklungen mit auffallend hoher Sterblichkeit: Krankenhäuser. Nirgendwo sonst erkranken und sterben Jahr für Jahr auch in Deutschland so viele Menschen an Lungenentzündungen und anderen schweren Infektionen, die sie vor der Einlieferung nicht hatten, wie in Kliniken (bezogen auf die Zahl ihrer „Bewohner“).
Nach Berechnungen des Robert-Koch-Instituts kommt es in deutschen Kliniken in jedem Jahr zu 400.000 bis 600.000 reinen Krankenhaus-Infektionen. Europaweit trifft es jährlich 2,5 Millionen Krankenhaus-Patienten.
Bis zu 20.000 in deutschen Krankenhäusern infizierte Patienten sterben daran in jedem Jahr. Je 100.000 Einwohnern erkranken und sterben in Deutschland deutlich mehr Menschen als im europäischen Durchschnitt an Infektionen, die sie erst im Krankenhaus bekommen haben.
Von dort, von den Kliniken als Infektions-Brennpunkten aus, müssten sich nach offizieller Lesart die hausgemachten Krankheiten als Seuchen rasend über das ganze Land verbreiten und es entvölkern. Das tun sie aber nicht. Dennoch wird an der herkömmlichen Infektions- und Seuchentheorie festgehalten.
„Mängel, welche durch die staatliche und gesellschaftliche Gestaltung erzeugt werden“ hatte der Charité-Arzt Rudolf Virchow 1849 als den Keimboden für „künstliche Seuchen“ verantwortlich gemacht.
Dies war sein Fazit, nachdem er auf Geheiß der Regierung im Februar und März 1848 in Oberschlesien die seit 1847 grassierende Typhus-Epidemie und die medizinische Situation dort untersucht hatte.
In seinem Bericht bezichtigte Virchow die Regierung gravierender Fehler und machte Vorschläge für sozialpolitische Maßnahmen. Er empfahl keineswegs „irgendwelche neue Arzneien zur Bekämpfung der Epidemie, sondern ‚volle und unumschränkte Demokratie‘, eine der Hauptvoraussetzungen für Freiheit und Wohlstand für die etwa eineinhalb Millionen Armen in Oberschlesien“ sowie den Übergang der Steuerlasten von den Armen auf die Reichen.*
Kultur, Freiheit, angemessen verteilter Wohlstand und unumschränkte Demokratie als Fundamente einer gesunden, von künstlichen Seuchen freien Gesellschaft: Daran sollten wir uns gerade jetzt erinnern statt nur Krankenhäuser mit Rudolf Virchows Namen zu schmücken.
* Quelle: www.kulturportal-west-ost.eu/biographien/virchow-rudolf-2